Präfabrizierte Zufallsfunde – elaboriert zu Skulpturen aus Holz oder Metall
Wohnort und Atelier von Markus Delago sind in St. Ulrich in Südtirol gelegen. Die kleine Stadt im Hochgebirge, noch immer bekannt für ihre traditionelle Holzbildhauerei, ist inzwischen zum technologisch aufgerüsteten Tourismus-Spot mutiert, mit luftigen Seilbahnen und Rettungshubschraubern, mit älteren und moderneren Hotels und Pensionen, deren ausladende Satteldächer dem Stil alter Bauernhäuser in der Gegend folgen. Klare Nächte werden heutzutage illuminiert vom künstlichen Sternenmeer der elektrifizierten Talsenke, orchestriert vom Rauschen eines Wildbachs, der den Ort seit Äonen durchquert.
Delago’s Atelier, obwohl in einem alten alleinstehenden Holzhaus mitten auf einem steilen Abhang der Bergmassive gelegen, ist kein Ort für romantisierende Rückzüge in die Natur. Im Gegenteil, readymade greift der Künstler kaum beachtete seltsame Zufälle auf von Formprozessen und -ereignissen natürlicher und industrieller Art. Seine Skulpturen und Reliefbilder konfrontieren uns mit überraschenden Arbeits- und Sichtweisen, aber auch mit der langen Tradition von Holzbildhauerei im Südtiroler Bergland. Seit der Spätgotik wurden berühmte Bildschnitzer auch aus nördlichen Gegenden jenseits der Tiroler Alpen für opulente Kirchenaltäre engagiert und für diese Werke mit Holz aus den einheimischen Wäldern versorgt. Und so hat sich eine religiöse Bildschnitzerei rudimentär bis in die heutige, vom Tourismus geprägte Zeit erhalten. Längst hat sich aber auch eine profane Kunstszene etabliert, die mit unterschiedlichsten Medien und Materialien, nicht nur mit Holz arbeitend, sich zeitgenössischen Fragen widmet, die sich in einer global weitgehend digital urbanisierten Welt aufdrängen.
Mit intuitivem Elan gerät die künstlerische Praxis von Markus Delago auf eher vernachlässigte Dimensionen des Verhältnisses von Natur und Zivilisation, auf gewitzte Weise den hierarchischen Schnitt untergrabend, den ein technologisch evolutionärer Zeitpfeil zwischen sie legt. Beschreiben wir es mit einem mutwilligen Vergleich, der die Lokalität seiner künstlerischen Arbeit miteinbezieht.
Heutzutage kommen auf einen Einwohner von St. Ulrich circa drei Touristen, ein ökonomisch vielversprechendes Verhältnis von eins zu drei, was den Gebirgsort und seine Umgebung in eine Art Freiluftmuseum verwandelt. Übertragen wir diese Proportion auf Südtirols Fichtenwälder, erhalten wir ein Verhältnis von Eins-zu-X....? Milliarden von Borkenkäfern. Lassen wir einmal dahingestellt, ob wir diese Proportion auf das Verhältnis einzelner Fichten zu einem unbekannten „X“ an Borkenkäfern beziehen wollen, oder auf einzelne Einwohner von Südtirol zu „X...“ von diesen Baumbewohnern mit gutem Appetit. Delago jedenfalls hat diese Käfergattung, so schädlich ihr Nahrungsbedarf für den ökonomisch stramm geometrisch geregelten Fichtenwaldbestand auch sein mag, als temporär produktive Vor- und so auch Mitarbeiter an vielen seiner Holzskulpturen gewinnen können. Holz wurde so nicht einfach zum Werkstoff seiner bildhauerischen Tätigkeit, sondern - vergleichbar found foutage oder readymades - Koeffizient seiner künstlerischen Praxis. Nehmen wir hierfür ein erstes Fallbeispiel:
1) Twisted Tree Trunk
Die elegante Biegung der Rinde einer Fichte, deren Inneres eine Armada von Borkenkäfern mit üppigen Mahlzeiten in ein Hotel-Restaurant verwandelt hatte, in dem sie als Innenfraß-Designer wirkten, nutzte Delago als natural processed found foutage Ausgangspunkt für eine ready made assisted Skulptur. Bröckelige Überreste wurden beseitigt, hingegen kleine Bohrungen der Borkenkäfer erhalten, die in die Fichtenrinde luminose Luken gebohrt hatten. Der Untergrabung seiner Gravitations-Balance durch die kulinarische Aushöhlung seiner Eingeweide hatte der Fichtenstamm mit einem semi-zirkulären Twist seiner Rinde widerstanden, und so endete die Rinde als Skulptur in einer dynamisch eleganten Drehung, die den Zeitprozess ihrer Entstehung unterstreicht. Delago markierte das Resultat eines natürlichen co-evolutionären Konflikts mit einer Entfernung der grobkörnigen Rindenschicht, überzog die glatte Baumhülle mit einer dünnen Kalkschichtlasur, während er die Fressgänge der Schwarzen Rossameise, die bis auf die Rinde durchgedrungen waren, sparsam mit eigenen Arabesken-Furchen mimetisch ergänzte. Für den Künstler ergibt sich nun nur noch die Frage der Präsentation. Wie einen Sockel vermeiden? Aufgestellt an eine Wand gelehnt, kann durchscheinendes Licht die minimalen Durchbrüche der Borkenkäfer hervorheben. Auf den Boden gelegt, können Betrachter die Skulptur entlang gehen und so die lebendige Energie ihres Twists bewundern. - Inzwischen verschiebt der Fund einer zweiten abgeholzten und von der Schwarzen Rossameise ausgehöhlten Fichte die Entscheidung. Denn nun kann der Künstler eine positive, die Wölbung der Fichtenrinde hervorhebende Präsentation mit einer negativen, die Höhlung betonenden Version so verbinden, dass eine fließende Anordnung auf dem Fußboden es Betrachtern erlauben könnte, den Formprozess, ausgelöst von den Borkenkäfern, im Übergang von Wölbung und Höhlung zu erleben.
In Zeiten des Nachdenkens über Co-Evolution mögen wir den spontanen Nahrungs-/Arbeits-Prozess der Borkenkäfer mit den absichtsvollen Entscheidungen des Bildhauers in Beziehung setzen. Was die labyrinthische Aushöhlung der Fichte im Drehmoment ihres Stammes ausgelöst hatte, nimmt der Bildhauer als fertige Skulptur auf, ergänzt um sein Coating, ein paar simulierte Rindenfraß-Arabesken und eine eher beiläufige Präsentation. Das Resultat betreibt keine Romantisierung der Beziehung Mensch- Natur, und auch keine Hierarchie zwischen Form und Stoff. Hyle und Morphe, Stoff und Form - fallen nicht auseinander. Die plastischen Energien im Formwandel der Natur können mimetische Korrespondenzen in Betrachtern auslösen, sobald sie dem dynamischen Verlauf der Skulpturen folgen.
Kunstkritisch linguistische Diskussionen über „Kunst wird Material“ oder „Material als Kunst“ provozieren unter diesem Aspekt häufig ein Missverständnis. Der Materialbegriff der Kunst riskiert eine prekäre Nähe zur Spaltung moderner Produktionsprozesse, die von‚Material’ als ‚Rohmaterial’ sprechen. ‚Material’ ist jedoch immer schon ‚Form’ - in unterschiedlichen Wandlungsprozessen. Verortet man Delago’s Fundobjekte in der Tradition des readymade, sollte man auf die ‚niedere Sphäre’ achten, aus der Duchamp seine readymades in einem zufälligen Time-Space-Rendezvous aufgegriffen hatte. Sie stammten aus der industriellen Manufaktur. Delago’s hölzerne Fundobjekte hingegen stammen aus der Sphäre einer wechselseitig natürlichen Selbstbehauptung, sie erliegen jedoch nicht einer post-surrealen Verbildlichungssucht, die theriomorphen oder anthropomorphen Doppelgängern auflauert.
2) Metallskulpturen – Zufallsverschrottungen
Im Dunstkreis der wohlgepflegten Commune di St. Ulrich fällt auch spontan, d.h. illegal entsorgter Industrie-Schrott an. Ob dieser die Steilhänge der Berge hinab unvorhersehbaren Umformungen ausgesetzt wurde, oder schon vorher seine Identität maschinell zum Anschein einer compressed sculpture à la César Baldaccini oder John Chamberlain anonymisiert wurde, lässt sich häufig nicht mehr entscheiden. Delago’s Metallobjekte jedenfalls sind ganz ohne bildhauerisch absichtsvolle Professionalität zustande gekommen. Wenn er sie mit optischen Lineamenten überzieht, unterstreichen diese jedoch, anderes als bei seinen erwähnten Bildhauerkollegen, die ihn sicherlich inspiriert haben, nicht die entstandenen Formen. Ihr aleatorischer Verlauf evoziert eher Energieströme, die in Pressungen, Quetschungen und Tiefenstürzen zwar ausgelöst, aber selber unsichtbar bleiben. Den lebendigen Beat der Metallobjekte sekundieren sie als „bewegtes Beiwerk“.
Diesen Begriff hatte Aby Warburg für das Faltenrauschen nachflatternder Gewänder von Figuren geprägt und als Spuren ihrer erotisch leidenschaftlichen Erregung gesehen. Die Kunstgeschichte erhielt so einen neuen Vektor als metaphorischer Austragungsort eines zivilisatorischen Unternehmens. Leidenschaften und Erkenntnisneugier haben sich inzwischen in Felder verlagert, die sich auf unsichtbare, jedoch ebenfalls spürbare physikalische Energiefelder beziehen, Parallelwelten zu eigenen, verborgenen Energien. Moderne Strahlungstheorien, wie wir sie aus der Physik kennen, werden in den zeichnerischen Energieströmen von Markus Delago in unser emotionales Erleben übersetzt, gerade weil die farbigen Lineamente nicht die Oberflächen der Objekte, sie paraphrasierend überziehen. Von den Zufällen des plastischen Verschrottungsprozesses ausgelöst, gleiten sie über die Formen hinweg, lösen sich in unserer Vorstellung von den Oberflächen. Ganz so, wie Energien Transgressionsprozesse freisetzen, lassen uns die Zeichnungen Energiefelder der gefundenen Objekte assoziieren, Schwingungen, provoziert von inzwischen zum Stillstand gekommenen Formungsprozessen, deren Geschichte in den optischen Lineamenten nachklingt. Wir wissen, wie gepresstes Blech ‚nachgibt unter Protest’, träge Materie plötzlich eine andere, und sei’s aufgezwungene Energiewendung erhält. Aber es können auch Energieströme sein, die mit der Funktion nützlicher Gebrauchsobjekte verknüpft sind. Auf diese bezog sich Markus Delago bei dem Fundstück eines seltsamen Faltobjekts, nämlich einer ehemaligen Waschmaschine. Die dynamischen Lineamente seiner Bemalung erinnern an deren exzentrische Trommelwirbel, ohne diese illustrativ nachzuahmen. Der Künstler bezog sich jedoch zugleich auf eine sehr viel weiter reichende Dynamik durch eine ingeniöse raumzeitliche Installation seines Fundobjekts, nämlich die Rotations- und Strahlungsenergie der Sonne.
Das Waschmaschinenskelett war eines Tages in der Hochgebirgsgegend gelandet, auf der sich auch des Künstlers Atelierhaus befindet. Zur Winter-Sonnenwende kann man an klaren Tagen die Sonne über den Rändern des Hangs aufgehen und darüber hinwegziehen sehen. Das brachte Delago auf die Idee, den Aufgang der Sonne im Augen-Objektiv der Waschmaschinentrommel einzufangen und diesen Vorgang photographisch festzuhalten. Im Moment ihrer Überquerung der Trommelöffnung verfängt sich das Licht der Sonne auch in deren Rändern und wird auratisch aufgeladen reflektiert. Delago kamen bei dieser Inszenierung Sonnenkulte in den Sinn, die in frühen Zeiten an vielen Orten der Erde mit architektonischen Kultplätzen zelebriert wurden, der berühmteste wohl ist in Stone Henge. In neuerer Zeit, den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, hat die amerikanische Künstlerin Nancy Holt skulptural ein solches Mysterien-Ambiente inszeniert. Den Aufgang der Sonne über den Horizont auf der Schrottbühne einer Waschmaschine einzufangen, ergibt eher einen punkig paradox mundanen Effekt zwischen der jährlichen Wiederkehr eines kosmischen Ereignisses, des Solstitium im Sommer und Winter, und der endlosen Wiederholung von ökonomischen Entsorgungsvorgängen, wie in diesem Fall einer rein zufälligen und wohl eher wunderlichen Verwandlung des Gehäuses einer Waschmaschine in eine Kultbühne.
Aber das Magische der kultischen Sonnenszenarien kommt in dieser Schrott-Begrüßung des Sonnenaufgangs vielleicht noch deutlicher zutage, wenn man deren Performance direkt vor Ort erlebt. In situ ergibt sich eine sonderbare Vertauschung von Nähe und Ferne. Die Sonne scheint sich vom Horizont zu lösen und in den Vordergrund zu drängen für ihre Apparition in der Gloriole des Waschmaschinentrommelrands, bevor sie zurückweicht in die Höhen über dem Landschaftshorizont. – Jedenfalls ein Ereignis, das sich einer seltsamen, poetisch-magischen Zoom-Funktion unseres Auges verdankt und wohl auch bei der magischen Vertauschung von Nähe und Ferne der Sonne in den alten Kulten eine Rolle spielte.
Bei dem Waschmaschinenobjekt wird die Sonnenergie, die unsichtbar durch das Triptychon seiner aufgebrochenen Wände gleitet, evoziert im sichtbaren Lineament auf deren Oberflächen. Die gestanzten Bleche von Autos oder Geländewagen, heftig zerknittert und komprimiert, werden künstlerisch der Entsorgung entzogen mit den auffälligen Markierungen der Energielinien.
3) Borkenkäfer im Herz der Kulturgeschichte
Mit einer gewitzten Aushöhlung einer altertümlichen Auffassung von klassischen Vorbildern unterläuft Markus Delago eingeschliffene Hierarchien in der Wertschätzung von Kunst. Einem von Borkenkäfern schon ausgehöhlten Fichtenstamm rückte er mit einer Holzfräse zu Leibe und pflügte dessen Oberfläche zu einer ionisch geriefelten Säule um. Diese neue Form verhalf dem Aushöhlungswerk der Borkenkäfer zu einer überraschenden Sichtbarkeit. Die labyrinthischen Gänge erwecken nun den Eindruck, als wollte dieses natürliche Fresswerk dem vorzeitigen Zusammenbruch des Baumstamms strukturierende Stützen bieten, so wie ein Haus oder irgendein komplexes Gebäude durch innere Verstrebungen seiner Außengrenzen tektonisch stabilisiert wird. Positioniert als ‚gefällte‘ klassische Säule legt Delago daneben den Gipsabguss eines klassischen Götter- oder Heldenkopfs, sein klassisches Leben in der Blüte seiner Jahre ausgehaucht mit frischen roten Farbspuren, die aus seinem Mund quellen. Der umgelegte ionische Säulen-Stamm zeigt seinerseits an der weiß getünchten Schnittfläche eine beeindruckende Blüte, die die Gänge eines Heers von Borkenkäfern von den Rändern des Baumstammes ins labyrinthische Zentrum und zurück gegraben haben. Mit versöhnlichem Humor erteilt diese Combo einer hypnotischen Überhöhung klassischer Vorbilder eine lässige Absage.
Das Spektrum von Markus Delago‘s Referenzen zu Formspuren der Borkenkäfer oder zu ‚Kooperationen‘ mit ihrer hybriden Verknüpfung von Genuss und Arbeit hat in seinen Holzskulpturen immer wieder neue Spuren hinterlassen, gelegentlich auch ein Verwirrspiel für Betrachter: was sind tierischen Vorgaben und was künstlerisch-menschlichen Paraphrasen? Einen ganz ungewöhnlichen Auftritt haben die Borkenkäfer kürzlich diesen Sommer im mutwilligen effigie auf dem Steilhang seines Atelierhauses gefunden. „Shaved“ wurde der frische grüne Rasen so, dass ihn Gewimmel großer, stilisierter Borkenkäfer besiedelte, die natürlich mit dem Nachwachsen der Rasenhaare verschwinden und nur noch in ihrer Photo-Dokumentation überleben werden. Dieses ephemere Land Art Objekt kann jedoch einen weiteren Aspekt von Delago’s künstlerischem Selbstverständnis erhellen.
4) Photographien von Skulpturen im lokalen Gebirge
Delago arrangiert seine Skulpturen mit Vorliebe im Freien, auf dem Gebirgshang seines Ateliers. Aber während ein Skulpturen-Park Assoziationen irgendwo zwischen Museum oder Zoo auslöst, ergibt sich hier ein anderer Übergang von der forstwirtschaftlich gepflegten Umgebung zu den farbig oder zeichnerisch absichtsvoll veränderten Fund-Objekten und seinen Holz-Skulpturen.
Auf Photos hält Delago diese Situationen seiner Skulpturen fest. Der Freiraum fungiert jedoch nicht als Hintergrund oder prägnante Folie. Vielmehr bilden Skulpturen und natürliches Ambiente ein gleichwertiges Spannungsfeld. Entscheidende Komponenten hierfür sind die Wahl des Bildausschnitts und das Gefühl für stimmige Lichtsituationen. Diese künstlerische Besonderheit der photographischen Beziehung von geformten Objekten und natürlichem Raum gerät schärfer in den Blick, wenn man Photos seiner Skulpturen vergleicht, die er für dokumentarische Zwecke freigestellt hat. Bei Skulpturen spielt der Aufnahmewinkel stets eine heikle Rolle. Betrachtern geht die Freiheit von Positionswechseln und damit die lebendige Beziehung zwischen Skulptur und Ambiente verloren. Die Freistellung von Skulpturen, ob im Photoshop oder auf Ausstellungen, verleiht ihnen daher eine seltsam abstrakte, eingefrorene Nacktheit. Delago vermeidet mit seinen Photos im lokalen Milieu diese Abstraktion. Nah-ansichtig erleben Betrachter zudem nicht nur, dass Landschaft und Skulptur mit ihrer Lichtreflexion gleichermaßen das optische Feld bestimmen; auch die Dynamik der Skulpturen, die in Form und drüber hinweg schießenden Zeichnungen etwas von dem energetischen Spannungsfeld ihres zufälligen oder bildhauerisch beförderten Entstehungsprozesses fühlbar werden lassen, wird durch die morphologische Besonderheit des landschaftlichen Ausschnitts mit geprägt.
Insofern ist die photographische Präsenz der Skulpturen in der Landschaft nicht nur eine Alternative zum Ausstellungsraum, sondern eine photographisch neue Verknüpfung der Skulpturen mit landschaftlichen Elementen.
5) Hot Spot - Heiße Projektionsenergien
Eine letzte Bemerkung zu einem atmosphärisch luftigen Photo von Markus Delago: Die Projektion des Sonnenlichts bei ihrer abendlichen Passage unter den Horizont einmal nicht als Alpen-, sondern als energetisches Wolkenglühen über den Felsmassiven photographisch einzufangen - Nov.2022 - lässt sich emblematisch für Markus Delago’s Interesse an Energieströmen auffassen, die - selber unsichtbar - unendliche Varianten sichtbarer Spuren in aller Materie hinterlassen und manchmal auch eine spielerisch phantasmatische Faszination ausüben können.
Hamburg, September 2023
Ursula Panhans-Bühler
Einige Gedanken ...
Unter dem Aspekt des kulturellen Austausches sich auftuende Gelegenheiten sind per se Chancen für Korrektive bzgl. der eigenen Gesellschaft.
Diese Transfers machen kulturelle Entwicklungen erkennbar und bedingen Dynamisierungen von Gemeinschaften schlechthin. Der Gebrauch des Begriffes der Political Correctness läuft Gefahr, Inhalte zu starr einzuordnen und die Einschränkung von Kreativität zu implizieren.
Kreativität und seismographische Herangehensweisen ermöglichen den uneingeschränkten Zugang zu Gefühlen, welche in der Gegenwart und in der Vergangenheit das Weltbild einer Gesellschaft spiegeln. Ein kostbares Gut.
Kunstwerke als entartet und als Irrwitz zu bezeichnen, zu entfernen und zu vernichten, ändert nichts an der Tatsache, dass diese gemacht wurden.
Dem Impuls kreativer Natur kann man nicht ein Korsett überziehen, ohne ihn zu unterdrücken. Das Vernichten von Zeitzeugnissen durch Fundamentalismus tilgt nie vollständig. Der Zugang zum vergangenen Persischen Reich ist nicht gänzlich verunmöglicht. Die ehemals abgehängten Bilder Schieles sind Berühmtheiten. Prüde patriarchale Strukturen beeinflussten unsere gegenwärtige Lage nur bedingt.
Nur der Diskurs darüber kann Veränderung herbeiführen. Die Zeit liefert die Anhaltspunkte. Diese sollten für alle Menschen zur Verfügung gestellt werden.
Buchstaben loslassen. Buchstaben tilgen. Begriffe loslösen. „Begriff-Losigkeit“ schaffen:
- ausgezeichnet
- sehr gut
- böse
- gut
- befriedigend
- genügend
- ungenügend
- tief untergegangen
- unauftauchbar
- verloren gegangen
- vergessen
- Gesetz
- Gesetzgeber
- Gesetzesausführer
- Gesetzlose
- Unterschätzte
- Untersetzte
- Gesetzte
- Letzte
Knetmassen sind dumm. Sie lassen sich formen:
- Affe
- Mensch
- Brust
- Euter
- Kreuz
- Spinne
- Arthur
- Arthrose
- Schädel
- Bein
- Zahn
- Stein
- Rüben
- Schwein
- Kopf
- Geld
- Kette
- Glied
- Zeitstau
- zeitlos
- Zeiten
- Zeitlupe
- Zeitsaufen
- Zeitaufwand
- Zeitempfinden
- Befreiungsakt
- Form eines ritualisierten Spielfeldes
- Gleichgewicht
- unten
- oben
- die Schwerkraft
- das Stehen
- fräßen
- Wände
- Bauskulptur
- Tempel
- Anfänge
- röntgen
- Stil
- sichtbar
- unsichtbar
- unbegrenzte Energiequellen
- zahllose Manifestationen
- Fuß
- Flugzeug
- Gedanken
- Orte
- anders
- geladen
- anderes Licht durchströmt
- Orte schaffen
- widerspiegeln
- ferne Möglichkeiten
- nähern
- Ameise
- Tagesreisen
- fernes Land
- Zeitraum
- Lebendigkeit
- hineingeboren
- Stille
- Nähe
- Impulse
- Bewegung
- Dialog
- Entfaltungsmöglichkeit
Wenn der europäische Kunstmarkt „Exotik“ als Bedingung für die Teilnahme außereuropäischer Künstler:innen stellt - Krise, Gewalt, Unterdrückung als Markenzeichen ihrer Herkunftsländer verlangt - zeugt das von einer (neuen) Form kolonialen Denkens.
Die Teilnahme am Weltgeschehen, das Mitwissen von Gewaltanwendung auf unserer Erde, macht uns unweigerlich zu Teilakteuren. Was mache ich mit den Informationen und Bildern, die von verheerenden Krisen zeugen, kaum drei Stunden Flugzeit entfernt? Wie hat die europäische Moderne in ihren Anfängen von außereuropäischen Kulturgütern profitiert und was hat dieses Phänomen in uns hinterlassen?
Die Moderne ist passé.
Dadurch konnte sich die europäische Geschichte entfalten. Die Assimilation ist nicht wegzudenken. Sie hat Spuren hinterlassen, die sich nicht wegleugnen lassen.
Geraubtes Kulturgut wird wieder in seine Ursprungsländer zurückgeschickt. Das Korrektiv – sämtliche außereuropäischen Kulturen - ist vergleichbar mit der in den 1900er Jahren entstandenen Akzeptanz von Eingliederung und Gleichberechtigung. Eine Erhebung des Kannibalen zum edlen „Wilden“.
Was machen einheimische europäische Künstler:innen mit diesem, wenn sie in Europa auf Flüchtende treffen?
Können sie, die sich durch distanzierte Betrachtung die Konzepte und Dynamiken der Moderne angeeignet haben, auf Bildsprachen von Drittweltländer zurückgreifen, ohne sich mit dem Vorwurf der kulturellen Aneignung konfrontiert zu sehen?
Rodin hat mit Rilke die Antike neudefiniert. Beide haben Griechenland nicht gesehen. Picasso sah die Grebo-Maske im Museum. Heute trifft man auf die Flüchtenden, ohne ihr Herkunftsland zu kennen. Es ist klar, dass man zwischen Formensprache im plastischen Sinne und einem unterschiedlichen historischen Blickwinkel unterscheidet. Doch – als Chance - bleibt ein plastischer Prozess, dem Europa nun bevorsteht.
Diese plastische Neudefinition ergibt neue Formen. In meinem Fall: Neue Skulpturen.
Wohnort und Atelier von Markus Delago sind in St. Ulrich in Südtirol gelegen. Die kleine Stadt im Hochgebirge, noch immer bekannt für ihre traditionelle Holzbildhauerei, ist inzwischen zum technologisch aufgerüsteten Tourismus-Spot mutiert, mit luftigen Seilbahnen und Rettungshubschraubern, mit älteren und moderneren Hotels und Pensionen, deren ausladende Satteldächer dem Stil alter Bauernhäuser in der Gegend folgen. Klare Nächte werden heutzutage illuminiert vom künstlichen Sternenmeer der elektrifizierten Talsenke, orchestriert vom Rauschen eines Wildbachs, der den Ort seit Äonen durchquert.
Delago’s Atelier, obwohl in einem alten alleinstehenden Holzhaus mitten auf einem steilen Abhang der Bergmassive gelegen, ist kein Ort für romantisierende Rückzüge in die Natur. Im Gegenteil, readymade greift der Künstler kaum beachtete seltsame Zufälle auf von Formprozessen und -ereignissen natürlicher und industrieller Art. Seine Skulpturen und Reliefbilder konfrontieren uns mit überraschenden Arbeits- und Sichtweisen, aber auch mit der langen Tradition von Holzbildhauerei im Südtiroler Bergland. Seit der Spätgotik wurden berühmte Bildschnitzer auch aus nördlichen Gegenden jenseits der Tiroler Alpen für opulente Kirchenaltäre engagiert und für diese Werke mit Holz aus den einheimischen Wäldern versorgt. Und so hat sich eine religiöse Bildschnitzerei rudimentär bis in die heutige, vom Tourismus geprägte Zeit erhalten. Längst hat sich aber auch eine profane Kunstszene etabliert, die mit unterschiedlichsten Medien und Materialien, nicht nur mit Holz arbeitend, sich zeitgenössischen Fragen widmet, die sich in einer global weitgehend digital urbanisierten Welt aufdrängen.
Mit intuitivem Elan gerät die künstlerische Praxis von Markus Delago auf eher vernachlässigte Dimensionen des Verhältnisses von Natur und Zivilisation, auf gewitzte Weise den hierarchischen Schnitt untergrabend, den ein technologisch evolutionärer Zeitpfeil zwischen sie legt. Beschreiben wir es mit einem mutwilligen Vergleich, der die Lokalität seiner künstlerischen Arbeit miteinbezieht.
Heutzutage kommen auf einen Einwohner von St. Ulrich circa drei Touristen, ein ökonomisch vielversprechendes Verhältnis von eins zu drei, was den Gebirgsort und seine Umgebung in eine Art Freiluftmuseum verwandelt. Übertragen wir diese Proportion auf Südtirols Fichtenwälder, erhalten wir ein Verhältnis von Eins-zu-X....? Milliarden von Borkenkäfern. Lassen wir einmal dahingestellt, ob wir diese Proportion auf das Verhältnis einzelner Fichten zu einem unbekannten „X“ an Borkenkäfern beziehen wollen, oder auf einzelne Einwohner von Südtirol zu „X...“ von diesen Baumbewohnern mit gutem Appetit. Delago jedenfalls hat diese Käfergattung, so schädlich ihr Nahrungsbedarf für den ökonomisch stramm geometrisch geregelten Fichtenwaldbestand auch sein mag, als temporär produktive Vor- und so auch Mitarbeiter an vielen seiner Holzskulpturen gewinnen können. Holz wurde so nicht einfach zum Werkstoff seiner bildhauerischen Tätigkeit, sondern - vergleichbar found foutage oder readymades - Koeffizient seiner künstlerischen Praxis. Nehmen wir hierfür ein erstes Fallbeispiel:
1) Twisted Tree Trunk
Die elegante Biegung der Rinde einer Fichte, deren Inneres eine Armada von Borkenkäfern mit üppigen Mahlzeiten in ein Hotel-Restaurant verwandelt hatte, in dem sie als Innenfraß-Designer wirkten, nutzte Delago als natural processed found foutage Ausgangspunkt für eine ready made assisted Skulptur. Bröckelige Überreste wurden beseitigt, hingegen kleine Bohrungen der Borkenkäfer erhalten, die in die Fichtenrinde luminose Luken gebohrt hatten. Der Untergrabung seiner Gravitations-Balance durch die kulinarische Aushöhlung seiner Eingeweide hatte der Fichtenstamm mit einem semi-zirkulären Twist seiner Rinde widerstanden, und so endete die Rinde als Skulptur in einer dynamisch eleganten Drehung, die den Zeitprozess ihrer Entstehung unterstreicht. Delago markierte das Resultat eines natürlichen co-evolutionären Konflikts mit einer Entfernung der grobkörnigen Rindenschicht, überzog die glatte Baumhülle mit einer dünnen Kalkschichtlasur, während er die Fressgänge der Schwarzen Rossameise, die bis auf die Rinde durchgedrungen waren, sparsam mit eigenen Arabesken-Furchen mimetisch ergänzte. Für den Künstler ergibt sich nun nur noch die Frage der Präsentation. Wie einen Sockel vermeiden? Aufgestellt an eine Wand gelehnt, kann durchscheinendes Licht die minimalen Durchbrüche der Borkenkäfer hervorheben. Auf den Boden gelegt, können Betrachter die Skulptur entlang gehen und so die lebendige Energie ihres Twists bewundern. - Inzwischen verschiebt der Fund einer zweiten abgeholzten und von der Schwarzen Rossameise ausgehöhlten Fichte die Entscheidung. Denn nun kann der Künstler eine positive, die Wölbung der Fichtenrinde hervorhebende Präsentation mit einer negativen, die Höhlung betonenden Version so verbinden, dass eine fließende Anordnung auf dem Fußboden es Betrachtern erlauben könnte, den Formprozess, ausgelöst von den Borkenkäfern, im Übergang von Wölbung und Höhlung zu erleben.
In Zeiten des Nachdenkens über Co-Evolution mögen wir den spontanen Nahrungs-/Arbeits-Prozess der Borkenkäfer mit den absichtsvollen Entscheidungen des Bildhauers in Beziehung setzen. Was die labyrinthische Aushöhlung der Fichte im Drehmoment ihres Stammes ausgelöst hatte, nimmt der Bildhauer als fertige Skulptur auf, ergänzt um sein Coating, ein paar simulierte Rindenfraß-Arabesken und eine eher beiläufige Präsentation. Das Resultat betreibt keine Romantisierung der Beziehung Mensch- Natur, und auch keine Hierarchie zwischen Form und Stoff. Hyle und Morphe, Stoff und Form - fallen nicht auseinander. Die plastischen Energien im Formwandel der Natur können mimetische Korrespondenzen in Betrachtern auslösen, sobald sie dem dynamischen Verlauf der Skulpturen folgen.
Kunstkritisch linguistische Diskussionen über „Kunst wird Material“ oder „Material als Kunst“ provozieren unter diesem Aspekt häufig ein Missverständnis. Der Materialbegriff der Kunst riskiert eine prekäre Nähe zur Spaltung moderner Produktionsprozesse, die von‚Material’ als ‚Rohmaterial’ sprechen. ‚Material’ ist jedoch immer schon ‚Form’ - in unterschiedlichen Wandlungsprozessen. Verortet man Delago’s Fundobjekte in der Tradition des readymade, sollte man auf die ‚niedere Sphäre’ achten, aus der Duchamp seine readymades in einem zufälligen Time-Space-Rendezvous aufgegriffen hatte. Sie stammten aus der industriellen Manufaktur. Delago’s hölzerne Fundobjekte hingegen stammen aus der Sphäre einer wechselseitig natürlichen Selbstbehauptung, sie erliegen jedoch nicht einer post-surrealen Verbildlichungssucht, die theriomorphen oder anthropomorphen Doppelgängern auflauert.
2) Metallskulpturen – Zufallsverschrottungen
Im Dunstkreis der wohlgepflegten Commune di St. Ulrich fällt auch spontan, d.h. illegal entsorgter Industrie-Schrott an. Ob dieser die Steilhänge der Berge hinab unvorhersehbaren Umformungen ausgesetzt wurde, oder schon vorher seine Identität maschinell zum Anschein einer compressed sculpture à la César Baldaccini oder John Chamberlain anonymisiert wurde, lässt sich häufig nicht mehr entscheiden. Delago’s Metallobjekte jedenfalls sind ganz ohne bildhauerisch absichtsvolle Professionalität zustande gekommen. Wenn er sie mit optischen Lineamenten überzieht, unterstreichen diese jedoch, anderes als bei seinen erwähnten Bildhauerkollegen, die ihn sicherlich inspiriert haben, nicht die entstandenen Formen. Ihr aleatorischer Verlauf evoziert eher Energieströme, die in Pressungen, Quetschungen und Tiefenstürzen zwar ausgelöst, aber selber unsichtbar bleiben. Den lebendigen Beat der Metallobjekte sekundieren sie als „bewegtes Beiwerk“.
Diesen Begriff hatte Aby Warburg für das Faltenrauschen nachflatternder Gewänder von Figuren geprägt und als Spuren ihrer erotisch leidenschaftlichen Erregung gesehen. Die Kunstgeschichte erhielt so einen neuen Vektor als metaphorischer Austragungsort eines zivilisatorischen Unternehmens. Leidenschaften und Erkenntnisneugier haben sich inzwischen in Felder verlagert, die sich auf unsichtbare, jedoch ebenfalls spürbare physikalische Energiefelder beziehen, Parallelwelten zu eigenen, verborgenen Energien. Moderne Strahlungstheorien, wie wir sie aus der Physik kennen, werden in den zeichnerischen Energieströmen von Markus Delago in unser emotionales Erleben übersetzt, gerade weil die farbigen Lineamente nicht die Oberflächen der Objekte, sie paraphrasierend überziehen. Von den Zufällen des plastischen Verschrottungsprozesses ausgelöst, gleiten sie über die Formen hinweg, lösen sich in unserer Vorstellung von den Oberflächen. Ganz so, wie Energien Transgressionsprozesse freisetzen, lassen uns die Zeichnungen Energiefelder der gefundenen Objekte assoziieren, Schwingungen, provoziert von inzwischen zum Stillstand gekommenen Formungsprozessen, deren Geschichte in den optischen Lineamenten nachklingt. Wir wissen, wie gepresstes Blech ‚nachgibt unter Protest’, träge Materie plötzlich eine andere, und sei’s aufgezwungene Energiewendung erhält. Aber es können auch Energieströme sein, die mit der Funktion nützlicher Gebrauchsobjekte verknüpft sind. Auf diese bezog sich Markus Delago bei dem Fundstück eines seltsamen Faltobjekts, nämlich einer ehemaligen Waschmaschine. Die dynamischen Lineamente seiner Bemalung erinnern an deren exzentrische Trommelwirbel, ohne diese illustrativ nachzuahmen. Der Künstler bezog sich jedoch zugleich auf eine sehr viel weiter reichende Dynamik durch eine ingeniöse raumzeitliche Installation seines Fundobjekts, nämlich die Rotations- und Strahlungsenergie der Sonne.
Das Waschmaschinenskelett war eines Tages in der Hochgebirgsgegend gelandet, auf der sich auch des Künstlers Atelierhaus befindet. Zur Winter-Sonnenwende kann man an klaren Tagen die Sonne über den Rändern des Hangs aufgehen und darüber hinwegziehen sehen. Das brachte Delago auf die Idee, den Aufgang der Sonne im Augen-Objektiv der Waschmaschinentrommel einzufangen und diesen Vorgang photographisch festzuhalten. Im Moment ihrer Überquerung der Trommelöffnung verfängt sich das Licht der Sonne auch in deren Rändern und wird auratisch aufgeladen reflektiert. Delago kamen bei dieser Inszenierung Sonnenkulte in den Sinn, die in frühen Zeiten an vielen Orten der Erde mit architektonischen Kultplätzen zelebriert wurden, der berühmteste wohl ist in Stone Henge. In neuerer Zeit, den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, hat die amerikanische Künstlerin Nancy Holt skulptural ein solches Mysterien-Ambiente inszeniert. Den Aufgang der Sonne über den Horizont auf der Schrottbühne einer Waschmaschine einzufangen, ergibt eher einen punkig paradox mundanen Effekt zwischen der jährlichen Wiederkehr eines kosmischen Ereignisses, des Solstitium im Sommer und Winter, und der endlosen Wiederholung von ökonomischen Entsorgungsvorgängen, wie in diesem Fall einer rein zufälligen und wohl eher wunderlichen Verwandlung des Gehäuses einer Waschmaschine in eine Kultbühne.
Aber das Magische der kultischen Sonnenszenarien kommt in dieser Schrott-Begrüßung des Sonnenaufgangs vielleicht noch deutlicher zutage, wenn man deren Performance direkt vor Ort erlebt. In situ ergibt sich eine sonderbare Vertauschung von Nähe und Ferne. Die Sonne scheint sich vom Horizont zu lösen und in den Vordergrund zu drängen für ihre Apparition in der Gloriole des Waschmaschinentrommelrands, bevor sie zurückweicht in die Höhen über dem Landschaftshorizont. – Jedenfalls ein Ereignis, das sich einer seltsamen, poetisch-magischen Zoom-Funktion unseres Auges verdankt und wohl auch bei der magischen Vertauschung von Nähe und Ferne der Sonne in den alten Kulten eine Rolle spielte.
Bei dem Waschmaschinenobjekt wird die Sonnenergie, die unsichtbar durch das Triptychon seiner aufgebrochenen Wände gleitet, evoziert im sichtbaren Lineament auf deren Oberflächen. Die gestanzten Bleche von Autos oder Geländewagen, heftig zerknittert und komprimiert, werden künstlerisch der Entsorgung entzogen mit den auffälligen Markierungen der Energielinien.
3) Borkenkäfer im Herz der Kulturgeschichte
Mit einer gewitzten Aushöhlung einer altertümlichen Auffassung von klassischen Vorbildern unterläuft Markus Delago eingeschliffene Hierarchien in der Wertschätzung von Kunst. Einem von Borkenkäfern schon ausgehöhlten Fichtenstamm rückte er mit einer Holzfräse zu Leibe und pflügte dessen Oberfläche zu einer ionisch geriefelten Säule um. Diese neue Form verhalf dem Aushöhlungswerk der Borkenkäfer zu einer überraschenden Sichtbarkeit. Die labyrinthischen Gänge erwecken nun den Eindruck, als wollte dieses natürliche Fresswerk dem vorzeitigen Zusammenbruch des Baumstamms strukturierende Stützen bieten, so wie ein Haus oder irgendein komplexes Gebäude durch innere Verstrebungen seiner Außengrenzen tektonisch stabilisiert wird. Positioniert als ‚gefällte‘ klassische Säule legt Delago daneben den Gipsabguss eines klassischen Götter- oder Heldenkopfs, sein klassisches Leben in der Blüte seiner Jahre ausgehaucht mit frischen roten Farbspuren, die aus seinem Mund quellen. Der umgelegte ionische Säulen-Stamm zeigt seinerseits an der weiß getünchten Schnittfläche eine beeindruckende Blüte, die die Gänge eines Heers von Borkenkäfern von den Rändern des Baumstammes ins labyrinthische Zentrum und zurück gegraben haben. Mit versöhnlichem Humor erteilt diese Combo einer hypnotischen Überhöhung klassischer Vorbilder eine lässige Absage.
Das Spektrum von Markus Delago‘s Referenzen zu Formspuren der Borkenkäfer oder zu ‚Kooperationen‘ mit ihrer hybriden Verknüpfung von Genuss und Arbeit hat in seinen Holzskulpturen immer wieder neue Spuren hinterlassen, gelegentlich auch ein Verwirrspiel für Betrachter: was sind tierischen Vorgaben und was künstlerisch-menschlichen Paraphrasen? Einen ganz ungewöhnlichen Auftritt haben die Borkenkäfer kürzlich diesen Sommer im mutwilligen effigie auf dem Steilhang seines Atelierhauses gefunden. „Shaved“ wurde der frische grüne Rasen so, dass ihn Gewimmel großer, stilisierter Borkenkäfer besiedelte, die natürlich mit dem Nachwachsen der Rasenhaare verschwinden und nur noch in ihrer Photo-Dokumentation überleben werden. Dieses ephemere Land Art Objekt kann jedoch einen weiteren Aspekt von Delago’s künstlerischem Selbstverständnis erhellen.
4) Photographien von Skulpturen im lokalen Gebirge
Delago arrangiert seine Skulpturen mit Vorliebe im Freien, auf dem Gebirgshang seines Ateliers. Aber während ein Skulpturen-Park Assoziationen irgendwo zwischen Museum oder Zoo auslöst, ergibt sich hier ein anderer Übergang von der forstwirtschaftlich gepflegten Umgebung zu den farbig oder zeichnerisch absichtsvoll veränderten Fund-Objekten und seinen Holz-Skulpturen.
Auf Photos hält Delago diese Situationen seiner Skulpturen fest. Der Freiraum fungiert jedoch nicht als Hintergrund oder prägnante Folie. Vielmehr bilden Skulpturen und natürliches Ambiente ein gleichwertiges Spannungsfeld. Entscheidende Komponenten hierfür sind die Wahl des Bildausschnitts und das Gefühl für stimmige Lichtsituationen. Diese künstlerische Besonderheit der photographischen Beziehung von geformten Objekten und natürlichem Raum gerät schärfer in den Blick, wenn man Photos seiner Skulpturen vergleicht, die er für dokumentarische Zwecke freigestellt hat. Bei Skulpturen spielt der Aufnahmewinkel stets eine heikle Rolle. Betrachtern geht die Freiheit von Positionswechseln und damit die lebendige Beziehung zwischen Skulptur und Ambiente verloren. Die Freistellung von Skulpturen, ob im Photoshop oder auf Ausstellungen, verleiht ihnen daher eine seltsam abstrakte, eingefrorene Nacktheit. Delago vermeidet mit seinen Photos im lokalen Milieu diese Abstraktion. Nah-ansichtig erleben Betrachter zudem nicht nur, dass Landschaft und Skulptur mit ihrer Lichtreflexion gleichermaßen das optische Feld bestimmen; auch die Dynamik der Skulpturen, die in Form und drüber hinweg schießenden Zeichnungen etwas von dem energetischen Spannungsfeld ihres zufälligen oder bildhauerisch beförderten Entstehungsprozesses fühlbar werden lassen, wird durch die morphologische Besonderheit des landschaftlichen Ausschnitts mit geprägt.
Insofern ist die photographische Präsenz der Skulpturen in der Landschaft nicht nur eine Alternative zum Ausstellungsraum, sondern eine photographisch neue Verknüpfung der Skulpturen mit landschaftlichen Elementen.
5) Hot Spot - Heiße Projektionsenergien
Eine letzte Bemerkung zu einem atmosphärisch luftigen Photo von Markus Delago: Die Projektion des Sonnenlichts bei ihrer abendlichen Passage unter den Horizont einmal nicht als Alpen-, sondern als energetisches Wolkenglühen über den Felsmassiven photographisch einzufangen - Nov.2022 - lässt sich emblematisch für Markus Delago’s Interesse an Energieströmen auffassen, die - selber unsichtbar - unendliche Varianten sichtbarer Spuren in aller Materie hinterlassen und manchmal auch eine spielerisch phantasmatische Faszination ausüben können.
Hamburg, September 2023
Ursula Panhans-Bühler
Einige Gedanken ...
Unter dem Aspekt des kulturellen Austausches sich auftuende Gelegenheiten sind per se Chancen für Korrektive bzgl. der eigenen Gesellschaft.
Diese Transfers machen kulturelle Entwicklungen erkennbar und bedingen Dynamisierungen von Gemeinschaften schlechthin. Der Gebrauch des Begriffes der Political Correctness läuft Gefahr, Inhalte zu starr einzuordnen und die Einschränkung von Kreativität zu implizieren.
Kreativität und seismographische Herangehensweisen ermöglichen den uneingeschränkten Zugang zu Gefühlen, welche in der Gegenwart und in der Vergangenheit das Weltbild einer Gesellschaft spiegeln. Ein kostbares Gut.
Kunstwerke als entartet und als Irrwitz zu bezeichnen, zu entfernen und zu vernichten, ändert nichts an der Tatsache, dass diese gemacht wurden.
Dem Impuls kreativer Natur kann man nicht ein Korsett überziehen, ohne ihn zu unterdrücken. Das Vernichten von Zeitzeugnissen durch Fundamentalismus tilgt nie vollständig. Der Zugang zum vergangenen Persischen Reich ist nicht gänzlich verunmöglicht. Die ehemals abgehängten Bilder Schieles sind Berühmtheiten. Prüde patriarchale Strukturen beeinflussten unsere gegenwärtige Lage nur bedingt.
Nur der Diskurs darüber kann Veränderung herbeiführen. Die Zeit liefert die Anhaltspunkte. Diese sollten für alle Menschen zur Verfügung gestellt werden.
Buchstaben loslassen. Buchstaben tilgen. Begriffe loslösen. „Begriff-Losigkeit“ schaffen:
- ausgezeichnet
- sehr gut
- böse
- gut
- befriedigend
- genügend
- ungenügend
- tief untergegangen
- unauftauchbar
- verloren gegangen
- vergessen
- Gesetz
- Gesetzgeber
- Gesetzesausführer
- Gesetzlose
- Unterschätzte
- Untersetzte
- Gesetzte
- Letzte
Knetmassen sind dumm. Sie lassen sich formen:
- Affe
- Mensch
- Brust
- Euter
- Kreuz
- Spinne
- Arthur
- Arthrose
- Schädel
- Bein
- Zahn
- Stein
- Rüben
- Schwein
- Kopf
- Geld
- Kette
- Glied
- Zeitstau
- zeitlos
- Zeiten
- Zeitlupe
- Zeitsaufen
- Zeitaufwand
- Zeitempfinden
- Befreiungsakt
- Form eines ritualisierten Spielfeldes
- Gleichgewicht
- unten
- oben
- die Schwerkraft
- das Stehen
- fräßen
- Wände
- Bauskulptur
- Tempel
- Anfänge
- röntgen
- Stil
- sichtbar
- unsichtbar
- unbegrenzte Energiequellen
- zahllose Manifestationen
- Fuß
- Flugzeug
- Gedanken
- Orte
- anders
- geladen
- anderes Licht durchströmt
- Orte schaffen
- widerspiegeln
- ferne Möglichkeiten
- nähern
- Ameise
- Tagesreisen
- fernes Land
- Zeitraum
- Lebendigkeit
- hineingeboren
- Stille
- Nähe
- Impulse
- Bewegung
- Dialog
- Entfaltungsmöglichkeit
Wenn der europäische Kunstmarkt „Exotik“ als Bedingung für die Teilnahme außereuropäischer Künstler:innen stellt - Krise, Gewalt, Unterdrückung als Markenzeichen ihrer Herkunftsländer verlangt - zeugt das von einer (neuen) Form kolonialen Denkens.
Die Teilnahme am Weltgeschehen, das Mitwissen von Gewaltanwendung auf unserer Erde, macht uns unweigerlich zu Teilakteuren. Was mache ich mit den Informationen und Bildern, die von verheerenden Krisen zeugen, kaum drei Stunden Flugzeit entfernt? Wie hat die europäische Moderne in ihren Anfängen von außereuropäischen Kulturgütern profitiert und was hat dieses Phänomen in uns hinterlassen?
Die Moderne ist passé.
Dadurch konnte sich die europäische Geschichte entfalten. Die Assimilation ist nicht wegzudenken. Sie hat Spuren hinterlassen, die sich nicht wegleugnen lassen.
Geraubtes Kulturgut wird wieder in seine Ursprungsländer zurückgeschickt. Das Korrektiv – sämtliche außereuropäischen Kulturen - ist vergleichbar mit der in den 1900er Jahren entstandenen Akzeptanz von Eingliederung und Gleichberechtigung. Eine Erhebung des Kannibalen zum edlen „Wilden“.
Was machen einheimische europäische Künstler:innen mit diesem, wenn sie in Europa auf Flüchtende treffen?
Können sie, die sich durch distanzierte Betrachtung die Konzepte und Dynamiken der Moderne angeeignet haben, auf Bildsprachen von Drittweltländer zurückgreifen, ohne sich mit dem Vorwurf der kulturellen Aneignung konfrontiert zu sehen?
Rodin hat mit Rilke die Antike neudefiniert. Beide haben Griechenland nicht gesehen. Picasso sah die Grebo-Maske im Museum. Heute trifft man auf die Flüchtenden, ohne ihr Herkunftsland zu kennen. Es ist klar, dass man zwischen Formensprache im plastischen Sinne und einem unterschiedlichen historischen Blickwinkel unterscheidet. Doch – als Chance - bleibt ein plastischer Prozess, dem Europa nun bevorsteht.
Diese plastische Neudefinition ergibt neue Formen. In meinem Fall: Neue Skulpturen.
© markus delago, 2025